Alte Sorten

In Vielfalt steckt „viel“ und „alt“ – zur Diversität alter Sorten

Wie vielfältig sind eigentlich alte Sorten? So einfach diese Frage klingt, so schwer ist sie zu beantworten. Das beginnt bereits mit der unklaren Definition von „alte Sorten“ – „Alter“ ist ein dehnbarer Begriff und für „Sorte“ existiert ebenfalls keine einhellig akzeptierte Definition.

(© Laura Droße)

Reisen wir in Zeit und Raum zurück, um am Beispiel des Gemüsekohls die Entwicklung verschiedener Arten – und Sorten – grob vereinfacht nachzuvollziehen: Vor mehreren tausend Jahren wuchsen an den Ostküsten des Atlantiks und des Mittelmeers verstreute Wildkohlpflanzen. In unzugänglichen Gebirgslagen der Inseln und des Festlands konnten die Pflanzen blühen und fruchten, ohne von den klettergewandten Ziegen gefressen zu werden. Mehrere dieser Wildkohl-Unterarten wurden schließlich von Bauern aus dem unwegsamen Gelände in ihre Gärten geholt und dort kultiviert.

In einem langwierigen Prozess gelang es Generationen begabter Züchter*innen, die Wildpflanzen an die Bedürfnisse der menschlichen Anbau- und Ernährungsweisen anzupassen. So kam es bei der Zucht immer wieder zu Kreuzungen mit anderen Nutzungsrichtungen, mit Sorten aus der Nachbarschaft und Wildpflanzen, die in der Nähe wuchsen – mal gezielt, mal spontan und ohne Absicht.

Die unermessliche Vielzahl an Kohlarten und -sorten verdanken wir also der Vorstellungskraft und der Zucht-Begabung zahlloser Generationen von Bäuer*innen und Gärtner*innen: Ob Strauch-, Futter- und Blattkohl, Braun- oder Grünkohl, Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli und viele mehr.

Zeichnerische Darstellung eines Tronchuda-Kohls (Vilmorin-Andrieux & Cie, 1904)

Saatgut hat die Menschen bei ihren Wanderungen stets begleitet und war auch im lokalen und globalen Handel eine begehrte Ware. So hat sich der Gemüsekohl bis heute weltweit verbreitet – was sich auch an vielen alten Kohlsorten nachverfolgen lässt:  

War der als Weihnachtsessen sehr beliebte Rippen- oder Tronchudakohl ursprünglich nur in Portugal anzutreffen, hat er sich mit den portugiesischen Eroberungszügen ausgebreitet und wird heute etwa auch in Brasilien angebaut.

Ein weiteres Beispiel ist der Palmkohl – als alte Sorte ‚Nero di Toscana‘ auch in unseren Black Turtle-Sets erhältlich. Diese Sorte ist Mitte des 19. Jahrhunderts in Italien entstanden und hat von dort aus ihren europaweiten Siegeszug angetreten. In den 1870er Jahren stand der Palmkohl auch auf dem Speiseplan der kaiserlichen Tafel Wilhelms I. in Deutschland, geriet anschließend aber schnell in Vergessenheit. Erst ab den 1980er Jahren erfuhr diese schmucke und schmackhafte Kohlart eine Renaissance – erst als Zier-, dann auch als Nahrungspflanze.

Die Nutzung als Zierpflanze zeugt von den vielfältigen Nutzungszwecken des Gemüsekohls durch den Menschen. Aus alten Abbildungen ist etwa ein fein geschlitzter, vielfarbiger Federkohl bekannt, der heute leider verloren gegangen ist. Stattdessen pflanzen die Grünflächenämter heutzutage Braunkohl-Arten in Grünanlagen und Parks, die zwischen Stauden und Sommerblumen ein stattliches Bild abgeben.

Für das Schicksal vieler alter Kohlsorten mag exemplarisch eine alte deutsche Sorte mit gelbgrünem Laub stehen: ‚Halbhoher Moosbacher Winter Hellgrüner‘ – so heißt der Blätterkohl mit zarten, empfindlichen Blättern, den man auf den Märkten aber vergebens sucht. Alte Sorten gelangen oft nicht in die überregionalen, globalen Vermarktungsprozesse, was die Sortenvielfalt leider immer stärker reduziert.

Das Beispiel des Gemüsekohls, der die Menschheit wie kaum eine andere Kulturpflanzenart geprägt hat, lässt sich auch auf alle anderen Kulturpflanzen übertragen: Die Vielfalt der Sorten, besonders der traditionellen Land-, Haus- und Hofsorten, ist akut gefährdet. Die oft zitierte Zahl von 75% verlorener Sorten aller Kulturpflanzen dürfte dabei noch viel zu niedrig gegriffen sein.

Im landwirtschaftlichen Anbau überwiegt bei vielen Kulturpflanzenarten der Anteil an Hybridsorten. Durch immer gleiche Kreuzung von Inzucht-Linien können so höchste Ansprüche an Einheitlichkeit und Stabilität erreicht werden und die Saatgutkonzerne eine möglichst effiziente Ernte versprechen.

Alte Sorten sind in der Regel samenfest und weniger einheitlich. Für die Sortenvielfalt sind sie daher um so wichtiger – und mit ihrem Anbau kann jede*r von uns einen Beitrag leisten, die Biodiversität unserer Kulturpflanzen zu erhalten.

Das ausführliche Essay von Dr. T (Thomas Gladis) findest du hier.

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